Nationalismus und die Bewegung der Covid-19 Massnahmen Gegner*innen
Wir bezeichnen die Dunstkreise der Corona-Massnahmengegner*innen immer wieder als nationalistische Bewegung. Visuell ist das offensichtlich der Fall: An ihren Protesten sind hauptsächlich Schweizer Fahnen oder Kantonsflaggen zu sehen, Schweizer Traditionen wie die Trychler nehmen einen zentralen Platz ein, die Verfassung sowie der Tellgruss sind omnipräsent und die einzigen Demorufe, die sich etablierten, sind Aussagen wie “S’Volk isch souverän”. Doch wenn man genau hinschaut so stimmt diese Zuschreibung auch ideologisch. Die nationalistische Ideologie ist der Grund, warum diese Bewegung bekämpft werden muss.
In der Protestbewegung gibt es sehr starke Bezüge zur Schweizer Nation als souveräner bürgerlicher Staat mit Verfassung und Parlament. Dabei wird eine vergangene Schweiz beschworen, die weit über die 1848 gegründete Eidgenossenschaft hinausgeht und zum Grossteil eine nie dagewesene, romantisierte Vorstellung ist. So sind Bezüge zum Rütlischwur, Morgarten, Luzerner Löwendenkmal und 1291 viel wichtiger als die tatsächlichen Gesetze und Geschichte der Schweiz.
Die Schweizer Nation, ihre Institutionen und alle ihr zugehörigen Schweizer:innen sollen nun vor einer strategischen Zersetzung geschützt werden. Angeblich passiere diese Zersetzung im Moment durch Einschränkung der individuellen Freiheit mittels Massnahmen gegen die Pandemie. Sie gehe vom Bundesrat und anderen Teilen der Exekutive aus, vorwiegend von Linken und Grünen, aber auch von Journalist:innen, den Medien allgemein, sowie von Kommunist:innen und natürlich von der “Antifa”. All diese wollen angeblich die Freiheits- und Grundrechte erodieren, um die Nation schleichend in eine autoritäre marxistische Gesellschaft zu überführen.
So wird ein klares “Wir” konstruiert, von aufrechten, starken Schweizerinnen und Schweizern, verbunden mit ihrem Land, ihren Traditionen und Werten, ein überhöhter “aufrechter Volksgenosse” – und ihm gegenüber ein klarer Feind: hinterhältig, schlau, allgegenwärtig und fast allmächtig; aber auch schwach, bubig, feige, einfach zu durchschauen. Dieser Feind bleibt bewusst vage: je nach Tagesereignis ist es Alain Berset, die Lügenpresse in Form eines kritischen Artikels, die Antifa, Klaus Schwab und die New World Order, die er angeblich anstrebt, oder sonst etwas aus dem unermüdlichen Zaubersack des Verschwörungskanons. Auf jeden Fall ist der Feind aber: unschweizerisch.
Auf diesen starken nationalistischen Gefühlen und dieser Dualität von “wir” gegen “sie” baut der völkische Nationalismus auf, wobei Nation und Volk gleichgesetzt werden. Von einigen Akteuren in der Bewegung wird eine rassisch homogene Nation angestrebt und die Feinde der Nation richten sich nicht mehr nur gegen die Institutionen, gegen die Souveränität der Nation oder gegen die Grundrechte, sondern jetzt auch gegen die rassische Reinheit der Volksgemeinschaft. Propagandistisch werden die Inhalte des völkischen Nationalismus mehrheitlich über Verschwörungstheorien transportiert. Eliten oder andere innere und äussere Feinde, welche das Volk über eine gezielte Einwanderung genetisch zersetzten wollen sind Beispiele für ist ein typisches Narrativ des völkischen Nationalismus. Nicht die institutionelle Zugehörigkeit zu einer Nation, sondern die rassische Zugehörigkeit zu einem Volk, bildet die Nation.
Diese Überzeugungen sind bei den Coronaleugner:innen noch nicht alle offen auslebbar, es wird sich aber stark daran angenähert. Unter anderem fordern einige Exponent:innen schon jetzt die Gründung eines neuen Volkstammes von Ungeimpften, unter dem Banner “Kein Sex mit Geimpften”. Diese Forderung trifft in der Bewegung allgemein auf Zustimmung. In der Tradition von ultranationalistischen Bewegungen wird der Aufbau einer Volksgemeinschaft propagiert, deren Wohl sich alle anderen Interessen unterordnen müssen. Teile der Geschichte werden jenseits aller wissenschaftlichen Befunde zum Teil völlig verzerrt und umgedeutet. Hinzu kommt die Forderung nach einem Volkstribunal, bei der ein vorher schon klar definierte Schuldiger seine gerechte Strafe für seine ungerechte Behandlung des Schweizerischen Kleinbürgertums bekommen soll. Auch diese Form von Nationalismus ist in der Bewegung weit verbreitet und sie hat stark zugenommen.
Der völkischen Nationalismus ebnet den Weg für faschistische Positionen. Die bürgerliche Nation und ihre Institutionen werden weitgehend abgelehnt, Parlament und Verfassung werden als modernistische, unbrauchbare und schädlich Einflüsse bezeichnet, welche die reine und wahre Natur eines Volkes institutionell unterdrücken. An die Stelle der Demokratie soll eine straff nach dem Führerprinzip organisierte hierarchische Gesellschaft treten, welche das Volk von schädlichen fremden, modernen und marxistischen Einflüssen bereinigt. Dieser Schutzauftrag wird ideologisch von rassistischen Konzepten, generalisiertem Misstrauen und Verschwörungs-Ängsten aller Art beflügelt. Visuell wird weiterhin mit der nationalen Identität gearbeitet, diese wird noch untermauert von paramilitärischem Spektakel. Es wird offen an nationalsozialistische Konzepte angeknüpft. Auch solche Positionen gibt es in der Bewegung, die rein nationalistischen Konzepte sind aber in der Mehrheit.
Man kann die Bewegung als nationalistisch bezeichnen, weil sie vor allem von verschiedenen nationalistischen Positionen getragen wird. Die Bezeichnung als rein faschistische Bewegung wäre nicht korrekt: diese Positionen sind in der Bewegung vorhanden, aber nicht tragend. Das Problem in dieser Bewegung ist nicht hauptsächlich der Faschismus, sondern die von einer breiten Bevölkerung getragenen Nationalismen, aus welchen faschistische Positionen und Strukturen aufkeimen. Genau das sehen wir jetzt. Faschistische Elemente entwickeln sich ungestört und geschützt in dieser, von der Protestbewegung geschaffenen, nationalistischen Basis.